Der folgende Text bezieht sich auf  Ausschnitte eines Vortrages,

 den ich 2OO5 in der Klink hielt.

 

 " Der Trieb und das Kind "

          " Sensibiliesierung des Therapeuten "

                    " Veränderungen "

 

 

 Warum habe ich mich für dieses Thema entschieden?

An was lasse ich Euch teilhaben, was ihr nicht selbst

schon wisst?

Und wie beabsichtige ich Euch zu beeinflussen?

 

Kindheit ist eine LebensZeit, die an einem sicheren Ort,

umgeben von liebenden Bezugspersonen stattfindet.

Das kindliche Erleben ist die freudige Neugierde

dem Leben gegenüber.

Erwartungs-Entäuschungen und deren Bewältigung erlebt das Kind in einer Bindungs-Sicherheit,

die von unterschiedlichen BeziehungsPartnern getragen wird.

Kinder, die eine solche Kindheit erlebt haben, kommen nicht zu uns.

 

Die Kinder, die zu uns kommen, lebten in einem Raum,

der von einer Aneinanderreihung krisenhafter Überforderungen des kindlichen Selbst

geprägt wurde

und diese zutiefst verunsichert hat .

Kinder, die zu uns kommen, scheitern nicht an ihren

Entwicklungs-Übergängen, sondern an ihrer sozialen Isolierung und der Begrenzung

und Erschöpfung ihrer BewältigungsRessourcen. 

Aus diesem Mangel heraus fehlt ihnen die Kraft

für ihre altersentsprechenden EntwicklungsÜbergänge.

Als Therapeut erfahre ich von ihnen,

wie sie mit all ihrer Triebhaftigkeit  darum gekämpft haben,

nicht verrückt zu werden.

Die Kinder haben sich aus dem entwicklungspsychologischen frühen Mangel

an positiver Spiegelung, elterlichen Annahme und intensier Zuwendungen

 für eine der Kompensationsvarianten:  Grössen-Selbst  oder Grössen-Klein

entschieden.

Beginnen diese Kinder keine Therapie,

besteht die Gefahr, dass sie ihr Leben lang in ihrem Kern verunsichert sind.

 

Was zeichnet diese Kinder aus, die dafür gesorgt haben,

hier bei uns zu ` landen ` ?

Mit der ihnen zur Verfügung stehenden Vitalität, haben sie es geschafft,

in einer kinderfeindlichen Welt zu überleben und sind gescheitert.

Das setzt  eine beachtliche psychische und physische Leistungbereitschaft voraus..

Gezielt wollten sie ihre Ziele erreichen :

Das ihre Wahrnehmungen wahr sind.

Das ihre Sehnsüchte und Hoffnungen nach

- Gehalten und Gesehen oder schlicht Geliebt

zu werden -  in Erfüllung gehen.

 

Die Kinder befanden sich in einer, sie verrücktmachenden Heimat-Welt und

lebten in einer permanenten psychischen und physischen Überforderung.

 

 " Sensibilisierung des Therapeuten "

Die Kinder haben einen hohen Preis bezahlt.

Nicht nur, als oft lebenslange Symptomträger,

sondern auch als Meister der Stabilisierung und

persönlichen BedürfnisZurücknahme für ihre Bezugspersonen.

Mit diesem Hintergrundwissen ist es naheliegend,

dass es diesen Kindern schlichtweg an Ressourcen

mangelte, ihre Lebensübergänge zu bewältigen.

So sind sie, die eigentlich Überforderten.

Werden aber allzu oft als diejenigen beschrieben,

die die Erwachsenen überfordern.

Ist es daher nicht nachvollziehbar, dass diese Kinder sich

in der Therapie fragen:

"Geht es eigentlich hier nur um mich?

Bin ich der Grund?

Ist es mein Verhalten

oder ist es das  Verhalten von jemand  ` Anderem `, das ich hier bin ? 

Zum Beispiel die Bindungs-Störung und die Unfähikeit zu lieben

meiner Mutter oder meines Vaters ?

Und

müsste das hier nicht thematisiert werden ? "

 

In unsrer Klinik ist es selbstverständlich, daß mit den Eltern, der Familie gearbeitet wird.

Die Frage stellt sich, woher sollen  die Kinder die Kraft für anstehende Veränderungen nehmen,

wenn   nach  jahrelangem Ringen um psychische und physische Unversehrtheit

die, dem Kind zur Verfügung stehenden Ressourcen,  aufgebraucht sind ?.

Das Kind kann seine Triebimpulse nicht mehr konstruktiv für sich einsetzen,

es fehlt ihm dafür die Kraft und sie  ist  diesen  ausgeliefert.

 Und vielleicht fragen sich manche Kinder :

"Wer von uns leidet eigentlich.      

Ihr?"

 

Schon Neugeborene investieren viel Energie darauf,

die Welt, in die sie hineingeboren werden, zu verstehen,

Regeln zu entdecken und sich eigene Konzepte zu machen.

Warum gehe ich auf den Säugling ein?

Weil ich nicht aus dem Blick verlieren möchte,

mit welch einem Lebens-Potential jeder von uns einmal

ausgestattet worden ist.

Und je nachdem in welche Erde

der Samen fällt,  welche Liebe ihm gedeiht, entwickelt er sich unterschiedlich.

Wir sprechen vom kompetenten Säugling und von

der Selbst-Wirksamkeit.

 

Und wir wissen, die häufigsten und bindungsfördernden,

prägenden Lern-Erfahrungen machen Säuglinge nicht mit pädagogisch wertvollem Spielzeug,

sondern in der Interaktion mit Mutter und Vater.

Sie lächeln und das Baby lächelt zurück.

Auch unser Gesichtsausdruck entspannt sich und

wir erleben ein schönes Gefühl durch das Lächeln.

Es ist ein gutes Gefühl und das scheint der

kompetente Säugling auch zu verstehen und er

fordert es immer wieder hervor.

Außerdem scheint von einem lächelnden Gesicht keine Gefahr für ihn auszugehen.

In dieser Welt entwickelt der Säugling seine ersten

Fähigkeiten zur Selbstregulation.

 

Aber was passiert, wenn der kleine Mensch sich noch

soviel anstrengt und er erlebt keine

ihn liebevoll widerspiegelnde Welt ?

Eine Welt, die ihm das Gefühl von Aufgehobensein und absolutem AngenommenSein vorenthält  ?

Und was  passiert, wenn der Ungeborene schon im Mutterleib die Auswirkungen

der Gefühle der Mutter bei:

 Unbewältigte PartnerschaftsProbleme ,

Mobbing am Arbeitsplatz,

Ängste und Stress , gespürt hat. 

Dann treten Schwierigkeiten bei der kindlichen Regulationsfähigkeit auf.

 

Frühe gestörte BindungsErfahrungen,

wie Missbrauch oder Vernachlässigung, brennen sich

direkt in das kindliche Gehirn ein.

Heute ist durch die NeuroBiologie bekannt,

das Reifung und Differenzierung der neuronalen Netzwerke in Abhängigkeit von Nutzen und Erfahrung stattfindet.

Das heißt nicht, dass die Reifung nicht nachholbar ist

oder die Kindheit determiniert ist.

Das Gehirn bleibt lernfähig und offen für neue Erfahrungen.

 

" Veränderungen "

Und dann las ich diesen `lebendigen ` Satz:

  "Teufelskreise können durch Engelskreise

  ersetzt werden."

Andere Bezugspersonen tauchen auf,.... Wir und Andere.

Und mit uns können die Kinder neue Erfahrungen

emotionaler Bezogenheit erleben.

Bezogenheit durch Männer und Frauen die hier arbeiten..

Hilfe für die Eltern, für die Bezugspersonen..für die Menschen, zu denen das Kind eine Bindung aufgebaut hat.

Nur in der Reflexion und am Modell können Verstrickungen

und seelische und psychische Mißbrauchserfahrungen langfristig aufgearbeitet werden.

Menschen lassen ihre Fähigkeit zur Empathie, zur Gewissensbildung, nicht zu

 sie fürchten sich davor, dass ihr `Herz `berührt wird. Zu oft sind sie verletzt worden.

Begeben sie sich nicht in eine Therapie, bemühen sie sich zeitlebens

um ihre Selbstwertstabilisierung.

Entweder bemühen sie sich um Zuwendung durch Andienen

oder durch das Bestreben  Bewunderung zu erfahren.

Eine grosse Hilfe ist die Traumaforschung und Traumatherapie.

 

Ich nähere mich meinem Schluß .

Es scheint sich ein neuer Trend in der Psychotherapie abzuzeichnen, 

weg von der rein theoretischen,

der an  Interpretation und der an Einsicht orientierten Psychotherapie,

hin zur beziehungsorientierten Psychotherapie.

Es ist offensichtlich , dass wir in einer narzisstischen Gesellschaft leben.

Sie weist einen Mangel an authentischen Mitmenschen auf.

Lebt die Sehnsucht der Menschen nach " Sein ",  wahrhaften Beziehungen ,

so sind wir von dem öffentlichen Leben umgeben, vom Schein und Abziehbildern einer vermarkenden politischen und unternehmerischen Klasse.

 Therapie  bietet einen sicheren Begegnungsort, wo wir uns auf die Reise zu unserem wahren Selbst begeben.

 

In den letzten 35 Jahren empfand ich , dass die Kinder immer wieder eine menschliche

und fachliche Herausforderung an mich herangetragen haben

und mich lehrten bescheiden zu sein.

Die Kinder forderten mit recht:

    Erkenne Meine Einzigartigkeit  

Warum erzähle ich Euch das?

Es liegt jetzt etwa ein Jahr zurück,

da saß mir ein trauriger 11 Jähriger gegenüber.

„ Magst Du mir sagen, was ist der Grund, daß Du so traurig auf mich wirkst ? "

„ Ich fühle mich so doof, ich komme nicht auf die Hauptschule, nie."

Erst in dem Moment registrierte ich bei mir,

dass ich mir kaum Gedanken darüber gemacht hatte:

Was geht eigentlich in einem Kind vor sich, das entdeckt – " Ich kann nie so gut rechnen oder lesen wie die Anderen ? ".

 

In der verletzten kindlichen Psyche gibt es etwas, das ich bislang nicht gebührend geachtet hatte :

Die hohe Sensibilität Ihrer SelbstWahrnehmung, unabhängig Ihres IntelligenzQuotienten.

Und der Mensch, alleine dadurch, dass er psychisch oder physisch verletzt worden ist,  erlebt  sich anders, als Andere.

Diese Selbstwahrnehmung kann in ihm Gefühle der Einsamkeit und des sich ` Verlorenseins ` fördern.

Sein Leben lang.

In den vorangegangenen Wochen fragte ein Kind

unter Tränen in den Augen und mit verzweifelter Stimme:

"Warum muss ich immer noch ein Medikament nehmen, ich schaff das doch auch ohne Medikamente"

Und ich hörte im Inneren, wie der Satz weiter ging... „Siehst du eigentlich, was ich bisher geleistet habe, gelitten habe?

Nehme mich ernst ? "

Diesmal lies mir das Gehörte keine Ruhe.

War das die berühmte Spitze des Eisberges?

War ich auch schon dabei, die feinen unausgesprochenen,

Gedanken und Gefühle der Kinder und Jugendlichen

nicht mehr wahrzunehmen?

Ich dachte, nach all den kindlichen psychischen-

und physischen Kämpfen, die diese Kinder und Jugendlichen

durchstehen,

würdige ich ihren Kampf ?

Was muß in diesen ÜberlebensKünstlern vorgehen,

wenn sie am Ende ihres Überlebenskampfes hier bei uns landen ?

Damit bin ich wieder am Anfang meines Vortrages angelangt.

 

Waren die Kinderund Jugendlichen damals, vor zwanzig Jahren

weniger auffällig oder gestört als Jetzige?

Waren wir Kollegen kompetenter oder blinder auf unseren jeweiligen Gebieten und

unkritischer uns Selbst gegenüber?

Nein, ich denke nicht.

 

Weder waren wir damals kompetenter

noch waren wir nicht genug selbstkritisch unserer Arbeit gegenüber.

Der eigene Anteil an Selbsterfahrung nahm einen grossen Teil der Ausbildungen ein.

Selbstkritisch gingen wir mit uns um und kritisch  `Miteinander ` .

 

In einer Atmosphäre der gegenseitigen Achtung

hatten wir Zeit für heftige Diskussionen .

Es waren die Nachwehen der Bewegung der Antipsychatrie aus Italien.

Weg von der Drehtür-Psychatrie und hin zur Behandlung des `ganzen ` Menschen. 

 

Wir nahmen uns Zeit. Ich denke mehr Zeit als Heute, um Wege und Hilfen für das Gelingen zu suchen.

In einem angstfreien Raum ging es uns darum, fachlich kompetent  herauszufinden, was dem Kind fehlt und was das Kind braucht. .

 

Heute habe ich den Eindruck,

das ich nach wie vor mit sehr viel kompetenten Kollegen aus allen Fachbereichen, umgeben bin.

Und wir Alten sind ja auch nicht in unserer Entwicklung stehen geblieben.

Und gleichzeitig beobachte ich mit Sorge,

es gibt weniger Zeit des Miteinander und die Frage nach einem Medikament steht,

nach meiner subjektiven Wahnehmung,

heute eher im Raum steht.

 

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.

Hartmut Budde